Wochenendseminar Reitkunst

mit Sabine Oettel

August 2020, Reithalle Flurweid, Boswil (CH)

Stabilität und Geraderichtung

Nach 2-monatiger Alppause hiess es für Reginn und mich wieder ran ans Training. Denn ich hatte mich bei Vanessa Paladin schon vor der Ausschreibung für einen Kurs mit Sabine Oettel, ihres Zeichens Meisterin der Akademischen Reitkunst, angemeldet. Ich hatte schon viel von Sabine gehört und war deswegen entsprechend gespannt auf ihre Arbeit. Wer mich kennt, weiss, dass ich mit meinen Ponys normalerweise nicht in aktiven Unterricht zu Menschen gehe, deren Arbeit ich persönlich nicht vorher schon live gesehen habe. Ich vertraute diesmal also ganz auf die positiven Erfahrungsberichte, die mir bisher zu Ohren gekommen waren. Und wann hat man schon mal die Chance, bei einer Meisterin Unterricht zu bekommen ;) Wir trafen uns in Boswil in der Reithalle Flurweid, jedenfalls die Location kannte ich daher bereits von vergangenen Kursen als Zuschauer.

 

Der Kurs stand unter keinem speziellen Themenmotto, daher hatte ich mir als persönliches Thema Stabilität und Kraftübertragung ausgesucht. Reginn ist ein sehr mobiles Pony, er flutscht und rutscht gerne in alle Richtungen gleichzeitig, dazu noch ist er extrem feinfühlig und reagiert auf minimalste Körperveränderungen. Einen Zentimeter weiter links oder rechts und er reagiert sofort entsprechend und kommt auch schnell aus der Balance. Er hat gelernt, seine Vorhand zu benutzen und mittlerweile auch seine Hinterhand zu beugen, was zugegebenermassen etwas gedauert hat aber seit er entdeckt hat, dass man Gelenke auch beugen kann, findet er das äusserst cool. Leider fehlt ihm oft die Verbindung von beiden Teilen über den Rücken, den er dann gerne mal vergisst.

 

Das richtige Tempo

Jedes Pferd hat von Natur aus sein eigenes Wohlfühltempo. Das eine Pferd ist etwas schneller unterwegs, das andere lieber etwas langsamer. Oftmals erlebe ich, dass vor allem instabile, hypermobile Pferde eher den Drang haben, in der Arbeit hinwegzueilen, um sich über die Geschwindigkeit etwas zu stabilisieren. Hier kann es helfen, das Tempo etwas langsamer oder gefühlt bereits zu langsam zu wählen, um dem Pferd mehr Bewusstsein und Stabilität für seinen eigenen Körper zu geben. So hat es auch mehr Zeit, die Hilfen in seinem Körper präzise zu verstehen und umzusetzen. Habe ich jedoch den Eindruck, die Energie bleibt im Pferd stecken, frage ich das Pferd nach etwas fleissigerem Tempo. Der Grat ist hier aber relativ schmal zwischen individuellem Wohlfühltempo und einem «Zu-schnell». Hier lohnt es sich, ganz genau hineinzuspüren.

 

Seitengang + Seitengang = Gerade?

 

Bereits König Louis XIII. fragte seinen Lehrmeister Pluvinel:

 

«Warum reiten wir all diese Seitengänge?»

 

 

Die Antwort seines Lehrers scheint geradezu einfach: 

 

«Um geraderichten zu können!»

 

Pferde sind von Natur aus schief. Wie wir Menschen, tragen sie lieber mit dem einen und schwingen mit dem anderen Bein. Auf einer Hand laufen sie daher mit der Hinterhand etwas nach innen versetzt und driften über die diagonale Schulter nach aussen weg. Mit der Ausbildung der Seitengänge legen wir die wichtigsten Werkzeuge zur Bearbeitung dieser Schiefe in unser Köfferchen. Nicht nur schulen sie die Beweglichkeit des Pferdes und ermöglichen eine differenzierte Kommunikation in der Arbeit mit uns Menschen, die wichtigste Aufgabe von Schulterherein und Kruppeherein als Basislektionen ist die Möglichkeit, dem Pferd über deren Einsatz zu einem Gerade zu verhelfen. Nur einem geradegerichteten Pferd ist es möglich, die Kraft effektiv von der Hinterhand bis zum Genick zu übertragen. Geht uns die Kraft auf dem Weg zum Genick irgendwo verloren (beispielsweise über die äussere oder innere Schulter), schafft es das Pferd nicht, die Schultern frei zu bekommen und den Rumpf zu heben.

 

Doch was ist denn jetzt gerade?

Wir sprechen dann von gerade, wenn die Hinterbeine des Pferdes dieselbe Schwungrichtung wie die Vorderbeine haben. Sind wir auf einem gebogenen Linien unterwegs, sollten die Zehen des Pferdes leicht in diese Richtung zeigen und somit den Bewegungsschwung der gesamten Wirbelsäule, Hüfte und Schultern fortführen. Die Hinterbeine sollen unter die Masse des Pferdes greifen und der Brustkorb in der jeweiligen Biegungsrichtung nach innen unten rotieren. Für mich persönlich sind die richtigen Rotationen der genaue Indikator dafür, ob das Pferd tatsächlich die gesamte Kraft gerade durch den Körper schickt. Fällt mir der Brustkorb entgegen der Biegungsrichtung nach aussen unten, weiss ich, dass mir die Kraftübertragung auf dem Weg nach vorne verloren gegangen ist. Gerade ist also immer in Relation zur Bewegungsrichtung gemeint und hat nichts mit «geradeaus» zu tun. Prinzipiell sind wir immer in eine Richtung gebogen unterwegs, auch wenn wir an der langen Seite geradeaus reiten. In hohen Lektionen wie dem Mezair sprechen wir erst über gerade-gerade. Bis dahin dürfen wir uns immer für eine Seite der Biegung entscheiden.

 

Und wie viel von diesem seitwärts brauchen wir denn nun?

Das ist für mich eine schwierige Frage, die man nicht pauschal beantworten kann. Nehme ich mein Reginnpony her, der aufgrund seiner Überbeweglichkeit sowieso dazu neigt, alles zu übertreiben, kann das zu starke Abfragen der Seitengänge (gemeint ist hier der Abstellungsgrad), genau dazu führen, dass er noch beweglicher und instabiler wird. Ich habe die Seitengänge daher in letzter Zeit immer mehr in Minimalismus gearbeitet, einen Hauch von Kruppeherein, einen Hauch von Schulterherein. Nämlich nur so viel, wie der Brustkorb noch in die richtige Richtung rotiert. Bei einem so schmalen, beweglichen Pony ist das durchaus schnell passiert. Sabine gab mir hier allerdings den Input, die Seitengänge deutlicher zu arbeiten und vor allem länger abzufragen, sodass er in der Lektion zu Kraft und Stabilität findet. Ich werde damit experimentieren.

Habe ich im Gegenteil, zum Glück habe ich das Gegenteil von überbeweglich und feinmotorisch ja auch direkt im Stall stehen, ein Pferd wie meinen Haflingerbuben, kann das etwas mehr an seitwärts durchaus hilfreich sein, mehr Geschmeidigkeit in mein Pferd zu bekommen. Da Sternchen auch «an jeder Ecke ein Bein» hat, ist die Gefahr, dass mir das Pferd durch zu viel seitwärts am Schwerpunkt vorbeitritt (also die Beine kreuzen) auch nicht so schnell gegeben wie bei einem schmalen Pferd.

Ich finde es daher schwierig zu sagen: Schulterherein/Kruppeherein muss auf x Hufspuren gearbeitet werden. Ich denke, es muss so gearbeitet werden, dass es dem individuellen Pferd hilft, besser in seine Kraft zu kommen.

 

Können wir die Schwungrichtungen von Vor- und Hinterhand aufeinander abstimmen, ist es dann auch möglich, diese Kraft in die Versammlung zu lenken. In der Arbeit mit den Anfängen der Piaffe habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, diese Kraft wirklich gerade zu halten und wie sehr es Reginn geholfen hat, in die Diagonalisierung zu finden, wenn es dann passt.

 

Beim Reiten ging es hauptsächlich um Verbesserung der Basisarbeit. Sabine ist das ausgewogene Verhältnis der Belastung des Reitersitzes sehr wichtig. Sie betonte immer wieder, dass es essentiell sei, die Sitzbeinhöcker immer gleichermassen zu belasten, selber stabil und gerade auf dem Pferd zu sitzen und in den Seitengängen den Spiegelsitz anzuwenden. Spiegeln bedeutet, wir sitzen so, wie uns das Pferd spiegeln soll. Dabei gilt: Die Reithüfte tut das, was die Pferdehüfte tun soll und gleichermassen tun die Schultern das, was die Pferdeschultern tun sollen. Im Schulterherein habe ich somit die Hüfte geradeausgerichtet und die Schultern nach innen. Damit gelangen die im Training für Reginn und mich sonst eher noch etwas schwierigen Traversalen viel einfacher.

 

Den Dingen Raum zum Entwickeln geben

Einen schönen Denkanstoss gab mir Sabine im Zusammenhang mit Hilfengebung und Umsetzung. Es geht in der Arbeit nicht darum, Dinge immer gleich alles perfekt zu machen und auf den Punkt umzusetzen. Manchmal muss man dem Pferd innerhalb einer Lektion (bei uns war es hier beispielhaft das Thema Galopp, seeehr schwierig für einen genetischen 5-Gänger) auch Zeit zum Umsetzen geben, sich auszuprobieren und auf den richtigen Weg zu finden. Auch wenn es mal drei oder vier Runden dafür braucht. Und das finde ich tatsächlich sehr wichtig, dass wir nicht jede Tür, die in die falsche Richtung zu führen scheint, für das Pferd sofort wieder schliessen und ihm damit einen Grad an Eigenverantwortung abnehmen. Tatsächlich probierte Reginn dann selber, wie es ihm am besten gelang, in den Galopp zu finden ohne grossen Stress zu entwickeln.

 

 

Alles in allem wurden am Wochenende viele «technische Aspekte» beleuchtet. Ohne Frage, ist das alles sehr wichtig, insbesondere zum Anfang der Ausbildung von Mensch und Pferd oder beim Erlernen von Neuem. Mir persönlich hat der Aspekt des Hineinfühlens jedoch hier und da etwas gefehlt. Meine tägliche Arbeit enthält sehr viel Fühlen, Vorschläge machen, Nachspüren. Mein Ziel ist es, das Spüren von Schwungrichtungen und Formgebung der Oberlinie durch den Sitz und immer mehr unabhängiger von Sekundärhilfen zu machen. Insbesondere die Sekundärhilfe Hand möchte ich immer so wenig wie möglich verwenden müssen. Uns Menschen als «Handlanger» fällt das besonders schwer. Es ist auch gefühlt für mich persönlich das allergrösste Thema in meiner eigenen Reitausbildung, vielleicht bin ich deswegen auch etwas sensibel auf diesen Aspekt. In der Theorie sind sich da wohl alle einig, die Praxis sieht dann oft doch etwas anders aus. Dennoch habe ich einiges an Input Und Verbesserungsvorschläge mit nach Hause nehmen können und bin dankbar, dass ich dabei sein durfte! 

 

Sowieso bin ich unglaublich dankbar meinem schwarzen Superpony gegenüber, der mich trotz zwei Monaten Pause in Freiheit und seinem empfindlichen Stresspegel so zuverlässig, motiviert und aufmerksam begleitet hat.

 

Ich freue mich schon sehr auf Oktober, wenn wir nach langer, coronabedingter Abstinenz endlich Anna wieder bei uns begrüssen dürfen.

 

 

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